Eva Gronemann

Kirchenkreiskantorin und Chorleiterin in St. Martin

Seit 20 Jahren ist Eva Gronemann Kirchenkreiskantorin in Bramsche und Kirchenmusikerin an St. Martin. Wir haben Sie zum Interview getroffen, in dem sie u.a. über aktuelle (Corona)-Herausforderungen, die Zukunft der Kirchenmusik und auch über das Schönste an ihrem Beruf spricht.

Eva, aktuell durchleben wir alle ja sehr besondere Zeiten, die so wohl noch nie dagewesen sind. Wie hat sich dein Arbeitsalltag durch die aktuelle Corona-Krise verändert?

Für mich hat sich im letzten Monat tatsächlich sehr vieles verändert. Mein Beruf lebt ja davon, mit und für Menschen Musik zu machen. Keine Chorproben vorzubereiten und zu leiten, keine konkrete Veranstaltungsplanung, fast keine Termine - das ist schon komisch. So viel Freizeit wie momentan hatte ich, glaube ich, noch nie. Und Ostern bedeutet für mich normalerweise, sieben Gottesdienste in 5 Tagen zu spielen. Das ist mit Vorbereitung und Üben immer eine arbeitsintensive, aber auch sehr schöne Zeit. Das war dieses Jahr, in dem ich nur ein paar Einspieler für den Livestream aufgenommen habe, natürlich völlig anders – deutlich entspannter, aber auch ein bisschen merkwürdig.
Insgesamt lebt mein Beruf ja sehr von der Freiheit, sich die Zeit frei einzuteilen. Aktuell liegt der Fokus nun eben auf ein bisschen Schreibtischarbeit und Orgel üben. Die größte Herausforderung ist dabei die fehlende Planungssicherheit und die allgemeine Ungewissheit, wann Projekte wieder wie ursprünglich geplant stattfinden können.
Ich versuche, das Beste draus zu machen und immer wieder auch kleinere, aktuelle Projekte umzusetzen.

Welche denn?

Zum Beispiel hat der Jugendchor gemeinsam mit dem Mediendienst eine Digitalversion des Stückes „Peace“ von Dave und Jean Perry produziert. Dafür hat jedes Chormitglied das Stück zu Hause eingesungen und sich dabei gefilmt. Mit ein bisschen digitaler Trickserei im Schnitt entstand so ein wirkliches tolles YouTube-Video zum Teilen.
Ein anderes Projekt habe ich jetzt gerade begonnen: Schon seit einem Monat gibt es zwei Mal die Woche Digitalandachten für zu Hause bei uns im Kirchenkreis. Den musikalischen Teil setzen die meisten Pastoren dabei selbstständig um. Hier möchte ich gerne meine Hilfe anbieten und werde nun gemeinsam mit meinem Sohn Jakob eine Auswahl verschiedener Orgelstücke einspielen und aufnehmen, die ich den Pastoren für die Videoandachten zur Verfügung stelle.

Gehen wir mal weg von der aktuell schwierigen Zeit und schauen auf die Kirchenmusik im Allgemeinen. Warum spielt diese eine so große Rolle in vielen Gemeinden?

Der große Vorteil von Kirchenmusik als Gemeindearbeit ist deren Bandbreite und damit verbunden auch die breite Altersspanne der Zielgruppen, die man erreichen kann. Bei uns in St. Martin kann man tatsächlich mit 4 Jahren beginnen im Chor zu singen und mit 90 Jahren muss man auch nicht aufhören. Diese Kontinuität bieten nicht viele Freizeitangebote.
Und dann bedeutet Kirchenmusik ja auch eigentlich immer Gemeinschaft: Gemeinsam musizieren, gemeinsam klingen. Das verbindet, bringt die Leute zusammen und schafft Glücksmomente.
Zusätzlich ist Kirchenmusik tatsächlich auch oft ein Türöffner für neue Gemeindeglieder. Ich erlebe es immer wieder, dass Jugendliche wie Ältere sich über unsere Chorangebote mit der Kirchengemeinde identifizieren und dann Stück für Stück auch außerhalb des Chores Aufgaben übernehmen. 

Wagen wir mal einen Blick in die Zukunft: Wird auch in 50 Jahren noch nahezu jeder Gottesdienst von einer Orgel begleitet?

Ich glaube nicht, dass die Orgelmusik aussterben wird. Dafür erfreut sie sich auch heute noch viel zu großer Beliebtheit. So konnten wir zum Beispiel unseren Orgelsommer in den letzten Jahren ausschließlich durch Kollekten finanzieren. Und dabei findet diese Reihe in den Sommerferien statt, wo es urlaubsbedingt eher schwierig ist, die Kirche mit Konzertbesuchern zu füllen.
Ich denke allerdings, dass Kirchenmusik sich im positiven Sinne in ihrer Vielfalt verändern wird. Mittlerweile gibt es bspw. eine hauptamtliche Ausbildung zum Popkantor. Diese Tendenzen werden sicher zunehmen. Das kirchenmusikalische Bild in den unterschiedlichen Gemeinden wird bunter werden. So muss auch nicht jeder Gottesdienst mit der Orgel bespielt werden, es kann z.B. auch das E-Piano oder eine Band sein, ohne dass damit die klassische Kirchenmusik ausgedient hätte.

Wie sieht denn die Nachwuchsperspektive aus? Tendenziell ähnlich negativ wie bei Pastoren und Diakonen?

Ja, auch in der Kirchenmusik wird in den nächsten Jahren eine breite Generation altgedienter Kantor*innen in den Ruhestand gehen. Diese wird zahlenmäßig sicher nicht durch Abgänger der Hochschulen ersetzt werden können. Problem für das Studium der Kirchenmusik ist zusätzlich, dass ich mich eben nicht mit 17 Jahren dazu entscheiden kann, ohne dass ich schon gute Vorkenntnisse und mindestens eine solide Klaviergrundlage. Da ist die Hürde der Aufnahmeprüfung zu hoch.
Ich versuche da ein bisschen gegen zu wirken. So habe ich bspw. in Kooperation mit den Bramscher Grundschulen die sog. Orgelentdeckertage ins Leben gerufen. Hier besuchen mich die Klassen in der Kirche und wir nehmen gemeinsam die Orgel unter die Lupe. Allein durch die schiere Größe und die ausgeklügelte Mechanik gibt es für die Kinder enorm viel zu entdecken. Natürlich darf auch jeder mal ausprobieren. Einen 9-jährigen Jungen konnte ich schon so sehr begeistern, dass er jetzt bei meinem Mann Klavierunterricht nimmt – mit dem festen Ziel, früher oder später an die Orgel zu wechseln.

Wenn du Werbung für deinen Beruf machen sollst: Was ist das Schönste an der hauptamtlichen Kirchenmusik?

Das Schönste für mich ist die Möglichkeit, mit ganz vielen unterschiedlichen Menschen ganz unterschiedliche Musik zu machen, für die ich brenne. Als Kirchenmusikerin habe ich vielmehr als z.B. ein Orchestermusiker die Freiheit, die Musik zu machen, die mir selbst gefällt. Das genieße ich sehr.
Dazu kommt das beglückende Gefühl, gerade in der Chorarbeit, Menschen über Jahre in ihrer Entwicklung zu begleiten und ihre Freude am gemeinsamen Musizieren zu spüren und auch immer wieder aufs Neue auszulösen. Das gibt mir dann auch wieder viel Kraft und Motivation.

Auf welche beglückenden Projekte darf sich die Gemeinde als Mitsänger oder Zuhörer nach der Zeit der Coronakrise freuen?

Auf jeden Fall die größeren Chorprojekte, auf die wir in den unterschiedlichen Gruppen schon länger hinarbeiten. Das ist im Kinderchor und Lerchenchor das Musical „David in der Löwengrube“, im Jugendchor ein Konzert mit dem Titel „Praise God“ und in Kantorei und Kammerchor die große h-moll Messe von J.S. Bach, an der wir schon länger arbeiten.
Selbstverständlich ist es aktuell schwierig einzuschätzen, ob der Zeitplan für diese Konzerte so bleiben wird wie geplant, aber sicher ist, dass wir die Stücke aufführen – notfalls eben mit Terminverschiebung.
Dazu kommt dann noch der Orgelsommer, wo wir jetzt mal die Entwicklung abwarten müssen, ob und in welcher Form dieser stattfinden kann.

Danke Eva für das sehr interessante Interview.

Vanja Cobec